Steglitz

Kiezspaziergang im Rahmen von Widerstandsgeschichte lokal

1) Hermann-Ehlers-Platz: Die Spiegelwand

In der Steglitzer Bevölkerung war die NSDAP vor 1933 besonders beliebt, bereits bei der Reichstagswahl im Juli 1932 erhielt sie 42 Prozent der Stimmen. Hier wohnten auch NS-Frauenleiterinnen und weitere Frauen, die an NS-Verbrechen beteiligt waren. Insbesondere die Gegend um die Schloß- und Albrechtstraße war in den 1920er Jahren nationalkonservativ geprägt und bot damit der NSDAP gute Anknüpfungspunkte, gleiches galt für Zehlendorf. Dennoch gab es auch hier im Bezirk eine organisierte Arbeiterbewegung, insbesondere in Lankwitz und Lichterfelde, genauso wie Personen, die den Nationalsozialismus ablehnten und gegen ihn kämpften.

Gegen heftige Widerstände wurde 1995 die „Spiegelwand“ als Gedenkort für die ermordeten Steglitzer Jüdinnen und Juden errichtet, nachdem mehrjährige heftige Auseinandersetzungen weit über Berlin hinaus Aufsehen erregt hatten. Ende der 1980er Jahre musste eine ehemalige Synagoge, die während der Novemberpogrome 1938 beschädigt wurde, auf dem Hof des Hauses Ecke Albrecht- und Düppelstraße einem Neubau weichen. Zum Gedenken sollte die „Spiegelwand“ der Künstler Joachim von Rosenberg und Wolfgang Göschel errichtet werden, was in großen Teilen der Bevölkerung Empörung und Ablehnung durch Scheinargumente bis hin zu offenem Antisemitismus hervorrief. Bis zuletzt versuchten CDU und FDP in der Steglitzer BVV mit den Stimmen der rechtsextremen Partei Die Republikaner, das Mahnmal zu verhindern. Auf der anderen Seite standen Initiativen, die jüdische Geschichte in Steglitz bis zur NS-Zeit aufzuarbeiten. Zu diesen gehörte auch die Friedens-AG der Fichtenberg-Oberschule und ihre Lehrerin Bärbel Schmidthals (1941-2011), die in ihrer Rede bei der Enthüllung der „Spiegelwand“ sagte, dass darauf die Namen und Adressen von 1723 deportierten Juden eingraviert sind, von denen die meisten ermordet wurden: „Auf dem Mahnmal befinden sich Namen von Straßen, durch die ich täglich gehe. In diesen Straßen haben einmal Juden gelebt. Die Nazis haben das jüdische Leben in Steglitz zerstört. Sie haben nicht nur die Menschen vernichtet, sondern auch deren Lebensform, die diese Stadt mitgeprägt hat. Das Denkmal kann nichts davon ungeschehen machen. Aber es soll uns erinnern, damit wir nie zulassen, dass in dieser Stadt noch einmal Menschen wegen ihrer Herkunft oder ihres Glaubens verfolgt werden.“

Demnächst soll der Hermann-Ehlers-Platz umgestaltet werden. Von den Plänen ist auch das Areal um die Spiegelwand betroffen.

Schmidthals unterrichtete ab 1980 an der Schule am Fichtenberg Geschichte und Deutsch, nachdem sie sich an einer anderen Schule Neonazis widersetzt hatte und daraufhin Morddrohungen bekam. Ihre Friedens-AG am Fichtenberg setzte sich mit Neonazis, Antisemitismus und Rassismus auseinander, forderte ein Bleiberecht für Geflüchtete und besuchte regelmäßig NS-Gedenkstätten in Polen, Belarus und der Ukraine. Als 1982 die Schulsenatorin Hanna-Renate Laurien (CDU) Schulen untersagte, Mitglieder der VVN als Zeitzeug:innen einzuladen, koordinierte Schmidthals eine Unterschriftenaktion, die zur Aufhebung des Erlasses führte. Eine Steglitzer Widerstandskämpferin, die wegen des Verbots nicht als Zeitzeugin in der Schule sprechen durfte, war Gertrud Skubich.

2) Rathaus Steglitz: Verschwundene Gedenktafel

Im Rathaus hing nach 1945 eine Gedenktafel für ermordete Widerstandskämpfer:innen. Wie in anderen Westbezirken verschwand die Gedenktafel, als sich im „Kalten Krieg“ mit der Teilung Berlins der Antikommunismus in Westdeutschland und West-Berlin auch gegen Verfolgte des NS-Regimes richtete. Auf der Steglitzer Gedenktafel waren drei Frauen aufgeführt, die die NS-Zeit nicht überlebt hatten: Minna Villain, Hanna Gehre und Oda Schottmüller.

Hanna Gehre (1916-1944) lebte in der Fontanestraße 5 in Lichterfelde. Ihr Ehemann Ludwig Gehre gehörte zu einem Widerstandskreis um den Leiter des militärischen Geheimdiensts der Wehrmacht, Wilhelm Canaris, den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer und dessen Schwager Hans von Dohnanyi. Nach Ludwigs Verhaftung im März 1944 gelang ihm die Flucht, aber im November flog sein Versteck auf. Bei seiner Festnahme wurde Hanna durch einen Schusswechsel mit der Gestapo getötet. Ludwig wurde am 9. April 1945 im KZ Fuhlsbüttel bei Hamburg ermordet. Die beiden Töchter Hildegard und Renate wurden in „Sippenhaft“ in ein Heim verschleppt.

Die Bildhauerin und Tänzerin Oda Schottmüller (1905-1943) gehörte zum Widerstandskreis Rote Kapelle. Weil ihre Mutter psychisch krank war, wuchs Schottmüller bei ihren Tanten in Lichterfelde auf und besuchte dort das Gymnasium. Bis zu ihrer Verhaftung im Herbst 1942 arbeitete sie als Tänzerin. Ihre Auftritte im Ausland nutzte sie für das Schmuggeln geheimer Informationen. Nach ihrer Verhaftung wurde sie vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und am 5. August 1944 mit zwölf weiteren Frauen und drei Männern in Plötzensee hingerichtet.

3) Schloßstraße: „Zum 1. Mai wehten rote Fahnen in Steglitz“

1945 gab es in Steglitz zum „Kampftag der Arbeiterbewegung“ laut der Steglitzer Widerstandskämpferin Margarete Becker bereits wieder eine kleine Demonstration, an der sie teilnahm: „Frei fühlte ich mich erst, als ich im Frühjahr 1945 auf dem Weg zur Wasserstelle einen russischen Soldaten sah. Das muss Ende April gewesen sein. Denn ich erinnere mich, zum 1. Mai wehten schon rote Fahnen in Steglitz.“

Als Mitarbeiterin des Berliner Entschädigungsamts war Becker nach Ende des Kriegs zuständig für den Antrag des Sohnes der Widerstandskämpferin Lieselotte „Lilo“ Herrmann (1909-1938). Die Steglitzerin war 1938 als eine der ersten Frauen hingerichtet worden, weil sie Informationen über die Kriegsvorbereitungen der Nazis gesammelt und weitergegeben hatte. Da Herrmann Kommunistin war, musste Becker Ende der 1950er Jahre die Entschädigung des Sohnes Walter auf persönliche Anweisung des damaligen sozialdemokratischen Innensenators Joachim Lipschitz ablehnen.

4) Schloßstraße: DRK und Vaterländischer Frauenverein

Zwischen dem alten Kirchhof und der St. Matthäus-Kirche steht ein zur Gemeinde gehörendes Verwaltungsgebäude. Auf der Kirchhofseite hat die Mauer einen runden hellen Fleck, der von einem großen Hakenkreuz aus der NS-Zeit stammen soll. Genutzt wurde das Gebäude vom Deutschen Roten Kreuz (DRK), das nach 1933 gleichgeschaltet auch das Hakenkreuz als Symbol benutzte.

Das 1921 gegründete DRK hat seinen Vorläufer im „Vaterländischen Frauenverein“. Dieser war 1813 zu Beginn der Kriege Preußens und seiner Verbündeten gegen die Besatzung durch das französische Kaiserreich Napoleon Bonapartes und dessen Vorherrschaft in Europa als frauengemäße Kriegsunterstützung gegründet worden. 1866 erweiterte der Verein sein Betätigungsfeld auf zivile Krankenpflege und soziale Arbeit. In Steglitz ist ab 1884 ein „Vaterländischer Frauenverein“ nachweisbar, der seinen Sitz in den Gebäuden der St. Matthäus-Kirche hatte. Unter dem Dach des DRK setzten diese Frauenvereine ihre Arbeit fort. Als Hitler ihr Schirmherr wurde, waren seine überwiegend konservativ-reaktionär, deutsch-national und republikfeindlich eingestellten Mitglieder stolz. Im Mai 1933 wurden sie wie alle Frauenverbände, die nicht verboten wurden oder sich selbst auflösten, in die NS-Organisation „Deutsches Frauenwerk“ eingegliedert. 1937 musste das DRK seine Frauenorganisation ganz auflösen. Außerdem wurde das Betätigungsfeld der Frauen auf die Krankenpflege beschränkt. Dennoch erfüllten hunderttausende DRK-Schwester die vom NS-Regime zugewiesenen Aufgaben pflichtbewusst. Und ihr Einsatz im Krieg kam nur Deutschen und Kollaborateuren zugute.

5) Rothenburgstraße 12a/13: Die NSDAP-Reichsfrauenführerin

1940 heiratete die NSDAP-Reichsfrauenführerin Gertrud Scholz-Klink (1902-1999) den SS-Führer August Heißmeyer. Seitdem lebte sie bis zu ihrer Flucht vor sowjetischen Soldaten im Frühjahr 1945 in der Dienstvilla ihres Mannes in der Hausnummer 12, die SS saß nebenan. Seit 1933 unterstanden Scholz-Klink die NSDAP-Parteiorganisation NS-Frauenschaften, das Deutsche Frauenwerk, in dem alle nicht aufgelösten Frauenorganisationen gleichgeschaltet wurden, der Bund Deutscher Mädel (BDM) und der weibliche Reichsarbeitsdienst, durch den einjährige Diensteinsätze für Mädchen organisiert wurden. Nach der Befreiung tauchte Scholz-Klink erst unter und wurde dann in mehreren Prozessen nur zu geringen Haftstrafen verurteilt. Eine „verbrecherische Haltung“ sei ihr nicht nachweisbar, ihre Aufgabe sei unpolitisch und ihre Bedeutung im NS-System wegen ihres Geschlechts untergeordnet gewesen. Auf diese Art wird die Täter- und Mitläuferschaft von Frauen in der NS-Zeit nach wie vor bagatellisiert. In ihren Memoiren von 1978, „Die Frau im Dritten Reich“, die sie den „Opfern der Nürnberger Prozesse“ widmete, bewertete Scholz-Klink die NS-Ideologie positiv.

6) Ruth Andreas-Friedrich-Park

Die Grünanlage auf dem Steglitzer Fichtenberg ist nach der Journalistin Ruth Andreas-Friedrich (1901-1977) benannt. Im Park erinnert ein Gedenkstein an sie und eine Gedenktafel an ihrem Steglitzer Wohnhaus im Hünensteig 6. Andreas-Friedrich arbeitete bei der Zeitschrift „Die junge Dame“. Nach der Einberufung des Chefredakteurs 1940 zur Wehrmacht war sie bis zur Einstellung des Blatts 1944 eine der beiden Leiterinnen. Unter dem Deckmantel unpolitischer Inhalte wie Schönheits-, Mode- und Haushaltstipps wurden NS-Ideologie und antisemitische Hetzparolen verbreitet. Privat baute Andreas-Friedrich mit Freundinnen und Bekannten sowie ihrem Lebensgefährten, dem Dirigenten Leo Borchard, ab 1938 das Widerstandsnetz „Onkel Emil“ zur Hilfe von jüdischen Verfolgten auf. Sie besorgten Verstecke, falsche Papiere und Lebensmittel. Außerdem verbreiteten sie die Schriften der Widerstandsgruppe Weiße Rose um die Scholl-Geschwister aus München in Berlin. Die Gefahren, Ängste, Hoffnungen, Verluste und Erschöpfung schilderte Andreas-Friedrich eindrücklich in einem Tagebuch, dass sie unter dem Namen „Der Schattenmann“ 1948 herausgab. Auch ihre Tochter Karin Friedrich (1925-2015) war in der Gruppe bei der Verbreitung der Flugblätter und der Unterstützung von Jüdinnen und Juden aktiv.

7) Rothenburgstraße 14: Blindenanstalt

Eine Gedenktafel erinnert seit Dezember 1997 an die seit einem Unfall blinde Betty Hirsch (1873-1957), die als Lehrerin die berufliche Integration von Erblindeten förderte. 1933 durfte Hirsch als Jüdin die Schule nicht weiterführen. Aus ihrem Exil in England kehrte sie nach Ende des Kriegs zurück. Ihre Grabstelle wurde nach 1977 neu vergeben, da niemand daran gedacht hatte, es als Ehrengrab einrichten zu lassen.

In der nahen Wrangelstraße 6/7 befand sich bis 1941 ein Blindenheim für Juden und Jüdinnen. Geleitet wurde es von Betty Katz (1872-1944). Unter dem NS-Regime galten Blinde wie andere körperlich und geistig beeinträchtige Menschen als „Schädlinge“ der „deutschen Volksgemeinschaft“. Als „Erbkranke“ eingestuft, wurden sie ab 1933 zwangssterilisiert und schließlich zu „lebensunwert erklärt. Sie waren die Ersten, die ab 1938 im Rahmen der T4-Aktion systematisch ermordet wurden. An diesen Maßnahmen waren das Gesundheitsamt Steglitz, Krankenschwestern und Fürsorgerinnen maßgeblich beteiligt. Seit 2017 erinnert vor dem Haus ein Stolperstein an Betty Katz.

8) Rothenburgstraße 18: Fichtenberg-Oberschule im NS

1912 wurde die Fichtenberg-Oberschule als erstes kommunales Mädchen-Gymnasium eröffnet und blieb bis zur Einführung der Koedukation in Berlin nach 1945 eine höhere Mädchenschule. In den Jahren der NS-Diktatur wurden auch hier alle Fächer und der gesamte Schulalltag an der NS-Ideologie ausgerichtet. Jüdische Schülerinnen wurden ausgeschlossen. Weil Mädchen Mütter werden sollten, statt zu studieren, durften nicht mehr als zehn Prozent eines Jahrgangs Abitur machen. Der Unterricht in Mathematik und Naturwissenschaften wurde zugunsten von Hauswirtschaft, Handarbeiten und „Rassekunde“ reduziert, die Sport-Stunden erhöht, um die Körper der Mädchen zu „stählen“. Während des Kriegs kam es auch zu „Osteinsätzen“ von Fichtenberg-Schülerinnen, um deutsche „Neuansiedler“ der besetzten Gebiete Mittel und Osteuropas zu unterstützen, in denen die als minderwertig angesehene Bevölkerung – Juden, Slawen, Sinti und Roma – vertrieben oder vernichtet wurde. Am Schluss wurden die Mädchen auf einen Kriegseinsatz mit Panzerfaustschießen vorbereitet.

Autorinnen: Claudia von Gélieu und Trille Schünke-Bettinger