Marianne Joachim, geb. Prager

5. November 1921 in Berlin, 4. März 1943 in Berlin-Plötzensee

 

Marianne Joachim

Marianne Joachim war die Tochter eines Bauarbeiters und einer Hausfrau. Mit 14 Jahren trat sie in den Bund Deutsch-Jüdischer Jugend (BDJJ) ein. Als jüdische Organisationen verboten wurden, trafen sich die Jugendlichen illegal. Nach der Volks- und Mittelschule wurde sie Kinderpflegerin in einem jüdischen Kinderheim in der Gipsstraße in Berlin-Mitte. Sie musste ihre Arbeit jedoch 1940 aufgeben, da sie zur Zwangsarbeit im Landeinsatz nach Rathenow gebracht wurde.

Ein Jahr später, am 22. August 1941, heiratete sie in der Berliner Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße Heinz Joachim. Zu der Zeit musste sie Zwangsarbeit in der Fabrik des Automobilzulieferer-Großunternehmens Alfred Teves in Wittenau verrichten. Ihr Mann war in der „Judenabteilung“ bei der Elektrofirma Siemens zwangsverpflichtet. Dort lernte er Marianne und Herbert Baum kennen, deren Widerstandsgruppe um die Baums und Sala und Martin Kochmann sich beide anschlossen.

Die Gruppe traf sich häufig in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg und vervielfältigte Schriften, in denen sie zum Sturz der Regierung aufriefen und die sofortige Beendigung des Kriegs forderten. „Hitlers Sturz ist Deutschlands Rettung! Darum sind die besten Deutschen die Todfeinde Adolf Hitlers!“ Im Herbst 1941 richteten sie ein Flugblatt speziell „An die deutsche Hausfrau!“ 

Marianne erhielt vermutlich einen falschen Personalausweis von Herbert Baum, um sich als französischen Zwangsarbeiterin ausgeben und ohne den „Judenstern“ bewegen zu können. Marianne war an der Planung, Herstellung und Verbreitung der Flugschriften beteiligt, ebenso beim missglückten Brandanschlag am 18. Mai 1942 im Berliner Lustgarten auf die antisowjetische und antikommunistische NS-Propagandaausstellung „Das Sowjetparadies“.

Sie und Heinz wurden am 9. Juni 1942 verhaftet. Ein halbes Jahr später wurde Marianne vom „Volksgerichtshof“ wegen Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt und am 4. März 1943 in der Strafanstalt Plötzensee hingerichtet.

Ihren Eltern sandte Marianne einen Abschiedsgruß: 

Meine liebe einzige kleine Mutter, mein geliebter guter Vater, wenn ihr diesen Brief erhaltet, werde ich nicht mehr am Leben sein. Ihr könnt mir glauben, dass ich bis zu den letzten Sekunden tapfer war. Ich wäre so froh, wenn ich wüsste, dass ihr dem Unabänderlichen mit Kraft begegnet seid! Mein letzter Wunsch ist, dass ihr euch mit all eurer Kraft gesund erhaltet, damit ihr all die Freude erleben könnt, die ihr mir einst, leider vergeblich, gewünscht habt.

Meine süße kleine Schwester! Ich habe einen Text geschrieben, den ich euch bitte, ihr über das Rote Kreuz zu schicken:

Geliebte kleine Schwester, werde nicht zu einer gewöhnlichen Person, die sich nur für ihr Essen und ihre Vergnügungen interessiert. Erinnere dich an das Lied, das wir zusammen gesungen haben. Ich wünsche dir alles Gute!

Ein letzter Kuss von Marianne.

Als letzten Gruß sende ich Euch ein paar Verse, die mir vor kurzem in den Sinn kamen:

Ich sehe euch Tag und Nacht die Hände falten und beten zu der Macht, auf die ihr baut. Ich hör euch innig flehend Zwiesprach halten mit eurem lieben Gott, dem ihr vertraut. Ich weiß um euer Fühlen, euer Denken, ich kenne eurer Stunden bittrer Qual. Wie gerne wollt ihr mir das Leben schenken, zum zweiten, ach, zum millionsten Mal! Ihr habt unsagbar viel für mich getan, von meinen ersten bis zu meinen jetzigen Tagen. Jetzt sieht man euch eure schönen Züge an: ihr kanntet nichts als Arbeit, Mühe und Plage. Seid stark und fest, denn wir müssen uns trennen, nehmt das Unabänderliche mit Kraft an!

Ich wünsche euch innige Küsse und glaubt mir, wie dankbar ich Euch bin! Damit dürfte wohl alles gesagt sein. Ein letztes Mal: Denkt an Ilse und bleibt ihr zuliebe tapfer! Es fällt mir nur wegen euch schwer, diese Welt zu verlassen, sonst habe ich nichts zu verlieren! Lebt gut, liebe Eltern! Grüßt alle ganz herzlich. Zum letzten Mal küsse ich euch in Gedanken. Bis zum Ende denke ich an euch in Liebe und Dank.

Eure Marianne.

Gedenken

Auf dem Friedhof der jüdischen Gemeinde in Weißensee gibt es einen Gedenkstein auch für Marianne Joachim. In der Belforter Straße 11/12, wo Marianne und Joachim gewohnt haben, erinnert eine Gedenktafel an die beiden.

  • Regina Scheer: Im Schatten der Sterne
  • Hans-Rainer Sandvoß: Die andere Reichshauptstadt
  • Abschiedsbrief (eigene Übersetzung aus dem Englischen): United States Holocaust Memorial Museum Archives