Lore Diehr, geb. Barthelmann
Arbeitersportlerin
4. Februar 1921 in Berlin – 2021 in Berlin
Die Flugblätter wurden von den Frauen verteilt, denn die waren unauffälliger.
Die Schneiderin stammte aus einer Arbeiterfamilie und war schon früh politisch aktiv, zunächst im sozialistischen Jugendverband Die Falken. Ihr Vater Fritz Barthelmann war Tischler, in der Arbeitersportbewegung und Stadtverordneter für die SPD. 1933 wurde er im KZ Sonnenburg inhaftiert.
Über Kontakte unter den Arbeitersportler:innen und ihren späteren Mann, den Konditor Paul Elsholz, gelangte Diehr an die Widerstandsgruppe um die Sredzkis. Diehr musste nach Kriegsbeginn beim Kettenwerk Alkett in Tegel arbeiten und unterstützte dort sowjetische Zwangsarbeiterinnen. Später arbeitete sie im Pankower Lebensmittelgeschäft ihrer Mutter Käte Barthelmann in der Herthastraße 9, den die nach der Verschleppung ihres Manns eröffnet hatte. Der Laden wurde ein Treffpunkt des Widerstands und diente insbesondere dazu, illegal Lebende mit Lebensmitteln zu versorgen. In dem kleinen Laden wurden auch Waffen gelagert.
Gegen Ende des Kriegs schickte Elsholz Waffen aus Frankfurt (Oder) für den Berliner Widerstand hierher; Gerhard Sredzki versteckte sich hier einige Monate. Im April 1945 kamen Diehrs Verbündete und Deserteure in einer Laube in Heinersdorf unter und verbreiteten das Flugblatt „Berliner! Die Rote Armee steht vor den Toren“, in dem dazu aufgerufen wurde, sich dem „Volkssturm“ zu verweigern und mit den Alliierten gegen die Nazis zu kämpfen, um weitere Tote und die Zerstörung Berlins zu verhindern. Diehr besorgte Papier für den Druck der rund 12.000 Exemplare, die sie auch verteilte.
In den letzten Kriegstagen kam ihre gute Freundin Gerda Kafka beim Versuch, Lebensmittel aus dem Laden abzuholen, durch SS-Beschuss ums Leben. Bis 1947 kümmerte sich Lore um deren Kinder.
Nach dem Krieg setze sich Lore Diehr bis zu ihrem Tod 2021 als Zeitzeugin ein.
Mutter und Vater hatten auch für die Jugend ein offenes Ohr und missbilligten es nicht, als ich zur kommunistischen Jugend stieß und an deren Fahrten und Treffen teilnahm. Durch parteiübergreifende Kontakte unter Arbeitersportlern lernte ich (…) meinen späteren Mann Paul Elsholz kennen und gelangte so an die Gruppe Sredzki. 1942 konnte ich die seit 1940 bestehende Dienstverpflichtung lösen und stieg in Mutters Geschäft ein. Der Laden in der Hertastraße 9 wurde wiederholt für illegale Treffen genutzt, schließlich tauchte Gerhard Sredzki vom Juni 1944 bis Februar 1945 hier unter. Vater, der damals bereits nördlich von Berlin stationiert war, gab dafür sein Einverständnis.
Das kleine Geschäft meiner Eltern diente vor allem dazu, Illegale mit Lebensmitteln zu versorgen. Mutter steckte wiederholt Juden Lebensmittel zu, auch politisch Untergetauchte (…). Ein hinter dem Laden gelegenes Zimmer konnten heimliche Besucher über den Hof – auf den man durch den Hausflur kam – unbemerkt erreichen. Dort stand immer ein großer Topf mit Eintopf oder Suppe auf dem Herd für Menschen, die in Not waren.
- AK Fragt uns, wir sind die Letzten, VVN-BdA, Antifa-Jour-Fixe (Hrsg.): „Fragt und wie sind die Letzten“. Berliner VVN-BdA
- Lore Diehr in einem Zeitzeuginnengespräch mit Hans-Rainer Sandvoß 1998. Zit. nach: Hans-Rainer Sandvoß: Widerstand in Prenzlauer Berg und Weißensee. Berlin 2015
- Karlen Vesper: Die Hundertjährige, die Hitler den Kampf angesagt hatte. nd-aktuell.de, 3. Februar 2021
- Philipp Gessler: Als Sport zum Widerstand wurde. taz, 4. Mai 2005
- Offener Brief: Kein Gedenken an die Opfer des Naziregimes zusammen mit der AfD! berlin.vvn-bda.de, 11. Januar 2019
- Hans-Rainer Sandvoß: Widerstand in Pankow und Reinickendorf
- BVVdN (Hsrg.): Widerstand in Berlin 1933-1945 (Digital)
- Ursel Hochmuth: Illegale KPD und „Freies Deutschland“