Marie Müller, geb. Hägele

Kommunistin

6. Juni 1908 in Frankfurt am Main – 2006 in Berlin

Marie Müller in der Galerie Olga Benario. Stefan Krause, Archiv der ehemaligen VVN Westberlin

Unsere Mutter war unheimlich tüchtig, und das gilt eigentlich für alle Frauen und Mädchen, die im Ersten Weltkrieg und im Zweiten dann als Großmütter Großes geleistet haben. Das wird kaum beachtet, was wir Frauen mitgemacht und durchgestanden haben.

Marie Hägele stammte aus Frankfurt und war das zweite von fünf Kindern. Ihr Vater fiel als Soldat im Ersten Weltkrieg 1917, von da an war ihre Mutter alleinerziehend. Nach dem Abschluss der Volksschule musste sie bis 1926 bei einem Pfarrer in Baden Württemberg arbeiten, dann ging sie zurück nach Frankfurt und arbeitete als ungelernte Kraft in einer Fabrik. Mit ihrer politisch aktiven Mutter besuchte sie Demonstrationen und begann schon früh, sich politisch zu engagieren.
1931 ging sie mit ihrem zukünftigen Mann nach Berlin, bis 1933 lebten sie in Prenzlauer Berg und arbeitete in einer Gruppe des kommunistischen Jugendverbandes unter Leitung ihrer Schwägerin Else.

Die konnte reden, ich konnte das nie. Ich war immer nur eine kleine Nummer. Die Else hat alles aus dem Ärmel geschüttelt. Und von uns hat sie viel gefordert. Wenn Parolen auf die Hausgiebel gemalt wurden, sind Else und ich mit aufs Dach und haben die Jungen an der Leine gehalten. Außer uns waren noch viele andere Mädchen dort im KJV, viele Jüdinnen, die umgekommen sind während der Nazi-Zeit.

Bis 1933 war Marie Mitarbeiterin der Neuköllner KPD-Funktionärin Gertrud Rosenmeyer und wohnte ab 1933 mit ihrem späteren Ehemann Alfred Müller in der Oderstraße 47.
Nach der Machtübertragung engagierten sich beide im Widerstand. Im März 1933 beobachtete Marie die Auszählung der Wahlzettel.

Als dann die letzten Wahlen im März 1933 zum Reichstag und zur Stadtverordnetenversammlung waren, haben mich die Genossen ins Wahllokal in die Kopfstraße geschickt. Ich sollte die Auszählung beobachten. Was ich dort wolle, haben die SA-Männer gefragt. Sie wollten mich mitnehmen. Aber zu meinem Glück kam ein hohes SA-Tier vorbei, und der hat gemeint: ´Lasst die Kleine doch laufen.´ Ich war ja noch neu in Neukölln und nicht so bekannt.

Im August 1933 wurde Marie erstmals kurzzeitig inhaftiert. Alfred wurde im Herbst 1933 erstmals am Arbeitsplatz verhaftet und zu 6 Monaten Haft verurteilt. Marie traf sich mehrfach geheim mit Rosenmeyer im Neuköllner Körnerpark und nahm von ihr Informationen und Schriften entgegen. 1936 heiratete sie, bekam 1937 einen Sohn. Im gleichen Jahr nahm sie Kontakte zu Lothar Cohn auf, dem Bruder von Marianne Baum, und bekam von ihm geheimes Material.
1944 wurde Müller mit ihrem Sohn nach Wolfsburg evakuiert und erlebte dort das Kriegsende. Im Juli 1945 kehrte Hägele nach Neukölln zurück und trat wieder in die KPD ein, die Vorsitzende war erneut Rosenmeyer. Hägeles Mann hatte nicht überlebt. Mit ihrem Sohn und ihrem späteren Lebensgefährten Werner Gutsche engagierte sie sich in der VVN und in der Sozialistischen Einheitspartei Westberlin (SEW). Gutsche erhielt 2004 die Neuköllner Ehrennadel als Auszeichnung für sein Engagement in der Gedenkarbeit im Bezirk.

Über die unmittelbare Nachkriegszeit berichtete sie später:

Wir waren ja eine Stadt der Frauen. Im ersten Winter waren wir nur Frauen und Kinder. Langsam sind dann die Gefangenen entlassen worden. Eine Katastrophe war das mit den Männern. Die waren das ja nicht gewöhnt, dass es nichts zu essen gab. Die waren eifersüchtig auf die Kinder. Es musste ja alles eingeteilt werden, Brot und Kartoffeln. Es gab sehr viel Krach in den Familien. Die Männer waren unheimlich egoistisch, wie sie aus dem Krieg, aus der Gefangenschaft, kamen. Ich habe das nicht erlebt, weil mein Mann nicht mehr nach Hause gekommen ist. Aber ich habe es bei den anderen gesehen. Viele Ehen sind auseinandergegangen. Die Frauen waren selbstständiger geworden dadurch, dass sie sich im Krieg und danach selbst erhalten mussten.

  • Claudia von Gélieu/Frauentouren: Zeitzeuginneninterview mit Mariechen Müller, 25. Februar 1997
  • BVVdN (Hrsg.): Widerstand in Berlin 1933-1945 (digital)
  • Frieder Böhne, Bernhard Bremberger und Matthias Heisig: „Da müsst ihr euch mal drum kümmern!“ Werner Gutsche (1923-2012) und Neukölln. Spuren, Erinnerungen, Anregungen