Reporter*innen sind zunehmend gefährdet
Deutschland rutscht in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 16, hauptsächlich aufgrund der vielen Übergriffe auf Reporter*innen rund um die Proteste gegen die Pandemieschutzmaßnahmen.
Erneut hat Reporter ohne Grenzen (RSF) in seiner heute zum „Tag der Pressefreiheit“ bekanntgegebenen Rangliste der Pressefreiheit Deutschland herabgestuft. Die Bundesrepublik liegt nun nochmal drei Plätze tiefer auf Rang 16 – bereits letztes Jahr war sie erstmals aus der Spitzengruppe herausgefallen. Die Lage der Pressefreiheit gilt seitdem nicht mehr als „gut“, sondern nur noch als „zufriedenstellend“ – ein „deutliches Alarmsignal“, hieß es damals Ende April 2021. „Für diese Entwicklung sind drei Gründe zentral: eine Gesetzgebung, die Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Quellen gefährdet, abnehmende Medienvielfalt sowie allen voran Gewalt bei Demonstrationen“, schrieb RSF über die Rangliste 2021.
Die Gründe für die erneute Herabstufung dieses Jahr bleiben aktuell: Ausschlaggebend sind vor allem die vielen Übergriffe auf Corona-Demonstrationen. Demnach gebe es mit 80 verifizierten Fällen so viel Gewalt gegen Medienschaffende wie noch nie seit Beginn der Dokumentation im Jahr 2013. Journalist*innen werden bespuckt, beschimpft, getreten, abgefilmt, bedrängt, geschlagen. Bereits im Vorjahr sei mit 65 Fällen ein Negativrekord erreicht worden, schreibt RSF. 52 der Angriffe hätten sich bei Protesten des „Querdenken”-Spektrums gegen Corona-Maßnahmen ereignet, an denen laut RSF regelmäßig gewaltbereite Neonazis und extrem rechte Gruppen teilnahmen.
Ausgebrannte Presse
Allerdings klagten Betroffene häufig auch über mangelnde Unterstützung durch die Polizei: 12 Angriffe von Polizisten auf die Presse in Deutschland hat RSF dokumentiert. Außerdem zeigt die Situation in Deutschland Überwachung, Gerichtsverfahren, Affären und Sexismus. Auf Twitter berichteten Journalist*innen davon, dass Polizisten ihre Arbeit erschwerten, indem sie ihre Identität trotz Presseausweis überprüfen, sie abtasteten oder bei angespannten Demos die beobachtenden Journalisten vom Ort des Geschehens wegschickten. Unter dem Hashtag #AusgebranntePresse twitterten Journalistinnen und Journalisten seit diesem Winter über die beängstigenden Übergriffe auf die Presse bei Corona-Protesten und auch darüber, wie die Polizei ihnen häufig gar nicht hilft.
Letztes Jahr schrieb das Auswärtige Amt noch: „Eine freie, unabhängige und vielfältige Presselandschaft ist Voraussetzung für jede funktionierende Demokratie. Weltweit lässt sich die Tendenz beobachten, dass Journalistinnen und Journalisten inhaftiert, eingeschüchtert oder diffamiert werden, um ihre Arbeit zu verhindern oder Einfluss auf sie zu nehmen. Zusätzlich rütteln Desinformationskampagnen am Vertrauen in die Medien und erhöhen die Risiken, denen Journalistinnen und Journalisten ausgesetzt sind.“ Seitdem sind die Risiken allerdings nicht gesunken.
Laut RSF verschärften sich die Arbeitsbedingungen für Journalisten 2022 weltweit. Bewaffnete Konflikte und staatliche Repression behindern verstärkt ihre Arbeit. In der Mehrzahl der 180 bewerteten Länder hätten sich die Bedingungen verschlechtert. Drei totalitäre Regime, die seit Jahren die letzten drei Plätze unter sich ausmachten, bilden die Schlusslichter: Turkmenistan, Eritrea und Nordkorea. Insgesamt stuft RSF die Lage der Pressefreiheit in 28 Ländern als „sehr ernst“ ein, darunter China und Russland. Repressive Staaten missbrauchen die Corona-Krise, um unabhängige Berichterstattung weiter zu unterdrücken.
Wichtige Voraussetzung für die Pressefreiheit: Artikel 5 Grundgesetz
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“
Zum Weiterlesen:
- Themenseite Pressefreiheit bei Fluter
- Planet Wissen zur „Entwicklung der Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland“
- Warum der öffentlich-rechtliche Rundfunk vom Staat unabhängig ist
- Aus Politik und Zeitgeschichte: „Pressefreiheit in Deutschland: Nutzen, Grenzen, Gefährdungen“
- Hintergrund des Welttags der Pressefreiheit bei der BPB
- Henri Nannen: Neue Recherchen zeigen, wie stark der berühmte Journalist an der Propaganda des „Dritten Reichs“ beteiligt gewesen sein soll. Ganz neu ist es aber nicht, dass auch die Presse nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem gleichen Personal wie zuvor in der Nazizeit bestand.
Die deutsche Geschichte zeigt, wie wichtig eine freie Presse und objektive Berichterstattung ist: Unmittelbar nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler begannen die Nationalsozialisten mit der Gleichschaltung der Medien. Mit dem Schriftleitergesetz wurde die Pressefreiheit abgeschafft. Journalisten konnten nur deutsche Reichsangehörige „arischer Abstammung“ werden. Das Reichspropagandaministerium unter Joseph Goebbels entschied, worüber die deutsche Bevölkerung informiert wurde, und nutzte die Presse zur Verbreitung ihrer Ideologie.
Reporter ohne Grenzen ist eine international tätige NGO mit dem Ziel, Journalist*innen und ihre Arbeit zu schützen. Sie setzt sich für Pressefreiheit und gegen Zensur ein und engagiert sich für Journalist*innen, die aus politischen Gründen inhaftiert sind. Die Organisation wurde 1985 in Frankreich unter dem Namen „Reporters sans frontières“ (RSF) gegründet.