Köpenick

Ein Kiezspaziergang im Rahmen von Widerstandsgeschichte Lokal

1) Rathaus Köpenick: Verfolgung von Politikerinnen

Vier der 111 weiblichen Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik lebten in Köpenick. Ihre Amtszeit endete mit dem „Ermächtigungsgesetz“ vom 24. März 1933, viele wurden von den Nationalsozialisten verfolgt. In Köpenick lebten vier Abgeordnete der SPD, drei davon in der Alten Dahlwitzer Straße, die 1947 nach dem Widerstandskämpfer Anton Schmaus in Schmausstraße umbenannt wurde.

Marie Juchacz geb. Gohlke (1879-1956) hielt 1919 als erste Frau eine Rede vor der Weimarer Nationalversammlung. Seit 1906 lebte sie mit ihrer Tochter und ihrer Schwester Elisabeth in Berlin. Seit 1908 Mitglied der SPD, gehörte sie ab 1917 dem Parteivorstand an. Auf ihre Initiative wurde 1919 die Arbeiterwohlfahrt (AWO) gegründet. Nach der Machtübertragung engagierte sie sich weiterhin politisch, obwohl ihr aufgrund ihrer Bekanntheit die Verhaftung drohte. Im August 1933 floh sie ins Saargebiet, 1935 nach Frankreich. Nach der Besetzung weiter Teile Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht zog sie 1941 nach New York und gründete dort die amerikanische Arbeiterwohlfahrt. 1949 kehrte sie zurück und wurde Ehrenvorsitzende der AWO.

Marie Kunert (1871-1957), die Schriftstellerin und Leiterin der parteilichen Frauenarbeit der SPD, war von 1928 bis 1933 Reichstagsabgeordnete. Im März 1933 emigrierte sie in die Schweiz, wo sie unter ärmlichsten Bedingungen lebte. Erst ab 1937 erhielt sie materielle Unterstützung durch das Schweizerische Arbeiterhilfswerk.

Anna Nemitz geb. Voigt (1873-1962) arbeitete zunächst als Hausangestellte, später als Schneiderin. 1908 trat sie in Bochum der SPD bei und zog 1911 nach Berlin. Während des ersten Weltkriegs hielt die Pazifistin Reden auf Antikriegsdemonstrationen und trat 1917 in die USPD über. 1919 und 1920 vertrat sie die Partei als Stadtverordnete. Von 1920 bis 1933 gehörte sie dem Reichstag an, erst für die USPD, dann für die SPD, deren Parteivorstand sie angehörte. Nach der Machtübertragung hielt Nemitz Kontakte zu ihren Parteigenoss:innen. Vor einer drohenden Verhaftung während der Köpenicker Blutwoche versteckte sie sich. Später durchsuchte die Gestapo mehrfach ihr Haus. Sie rettete den Nachlass ihres Schwiegersohns, des jüdischen Sozialdemokraten Rudolf Moses, über die NS-Zeit.

In Johannisthal lebte Clara Bohm-Schuch (1879-1936), eine der bedeutendsten Politikerinnen im Reichstag der Weimarer Republik, dem sie von 1920 bis 1933 angehörte. Wie Juchacz hatte sie 1919/1920 an der Weimarer Nationalversammlung teilgenommen, engagierte sich in der AWO und vor 1933 gegen die erstarkenden Nationalsozialisten. In der Reichstagssitzung, in der über das „Ermächtigungsgesetz“ abgestimmt wurde, sprach Bohm-Schuch die Misshandlungen ihrer Parteigenossin Maria Jankowski durch die SA an. Als bekannte Sozialdemokratin wurde sie ab 1933 verfolgt. Mehrfach fanden Hausdurchsuchungen bei Bohm-Schuch statt, im August 1933 wurde sie festgenommen und mehrere Wochen im Polizeigefängnis am Alexanderplatz und im Frauengefängnis Barnimstraße inhaftiert. Nach ihrer Entlassung wurde sie überwacht und musste sich regelmäßig bei der Gestapo melden. Von der Haft psychisch gebrochen, starb Bohm-Schuch im Alter von 56 Jahren an einem Schlaganfall. Ihr Begräbnis auf dem Friedhof Baumschulenweg wurde zu einer der letzten großen stummen Proteste gegen den Nationalsozialismus. Daran erinnerte sich 1959 die Sozialdemokratin Dora Lösche (1906-1985): „Die Beerdigung war eine große Kundgebung der Berliner Sozialdemokraten, der Gewerkschafter, der sozialistischen Jugend und der Arbeitersportler. Sogar der interne Polizeibericht sprach von 6.000 bis 8.000 Teilnehmern. Alle, die wir auf dem Friedhof Abschied von ihr nahmen, werden nicht vergessen, wie über die Köpfe Tausender Menschen hinweg Blumensträuße und rote Nelken in endloser Kette weitergereicht wurden.“

Auch Bezirkspolitikerinnen wurden verfolgt. Darunter war die Kommunistin Elisabeth Gärtke.

2) Freiheit 14: Pfarrhaus von Georg und Alide Ratsch

Der Pfarrer der Schlosskirchgemeinde Georg und seine Ehefrau Alide Ratsch (1883-1975) unterstützten verfolgte Nazi-Gegner:innen, Jüdinnen und Juden und Kriegsopfer. Seit 1988 erinnert an ihrem Pfarr- und Wohnhaus eine Gedenktafel an das Ehepaar.

3) Dammbrücke Lindenstraße: Kleingärten und Zeltstädte der Arbeiter:innenbewegung

Im Zuge der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre zogen viele Arbeiter: innen in Kleingärten, Campingplätze oder in Zeltstädte, wie in die seit 1922 existierende Kleingartenkolonie Baumgarteninsel der Gartenfreunde Köpenick. In der NS-Zeit dienten sie als Verstecke für Verfolgte oder für konspirative Treffen. In der Zeltstadt am Krossinsee lebten die Kreuzbergerinnen Martha Paucka geb. Abel (1895-1976) und Ilse Grubitz geb. Piepenhagen (1916-2012) zeitweise mit ihren Ehemännern. Paucka stammte aus Liebenwalde in Brandenburg und arbeitete in Berlin zunächst als Dienstmädchen und anschließend in der Metallindustrie. Sie engagierte sich als Gewerkschafterin im Deutschen Metallarbeiter Verband und der RHD, ab 1930 war sie Kassiererin der KPD. Nach der Machtübertragung betätigte sie sich trotz mehrfacher Festnahmen für die Partei in Kreuzberg und der Zeltstadt als Kurierin und verbreitete illegale Schriften. Nach ihrer Verhaftung im Juli 1944 wurde sie im Oktober in das KZ Ravensbrück gebracht. Auch dort leistete sie Widerstand mit anderen politischen Häftlingen. Nach der Befreiung des Konzentrationslagers am 30. April 1945 kehrte Paucka nach Berlin zurück, zunächst nach Kreuzberg. Sie wurde Mitglied der SED und lebte später in Ost-Berlin.

4) Platz des 23. April: Befreiung Köpenicks und die Köpenicker Blutwoche

Mitte April 1945 begann die sowjetische Großoffensive auf Berlin. Am 21. April erreichten Truppen erstmals in Lichtenberg Berliner Stadtgebiet, am gleichen Tag auch den zu Köpenick gehörenden Ortsteil Rahnsdorf. Zwei Tage später drangen sowjetische Soldaten in die Altstadt Köpenick vor. Seit Juni 1945 erinnert der Name des Platzes an die Befreiung Köpenicks und seit 1969 eine Gedenkstele an die Opfer der „Köpenicker Blutwoche“. Am 21. Juni 1933 begann diese großangelegte Gewaltaktion gegen politische Gegner:innen, bei der die SA mindestens 24 Menschen ermordete. Mit offenen Lastwagen fuhr sie durch Köpenick und verschleppte tagsüber 500 Menschen in SA-Lokale und ins Amtsgerichtsgefängnis und folterte sie dort. Die Kommunistin und Gewerkschafterin Hedwig Nusche geb. Klein (1897-1967) wurde verhaftet und im SA-Lokal Demuth misshandelt. Nach ihrer Entlassung betätigte sie sich erneut als Kurierin und bei der Herstellung und Verbreitung illegaler Schriften. Auch Helene Zimmermann geb. Schwefler (1886-1957) wurde kurzzeitig verhaftet. Die Verkäuferin und Sozialistin aus Bohnsdorf war ab 1920 Mitglied der BVV für die USPD. Nach ihrer Entlassung 1933 verbreitete sie illegale Flugschriften der SPD in Köpenick.

5) Maria-Jankowski-Park: Sozialdemokratin im Widerstand

Seit 1998 ist der Park nach der Sozialdemokratin und Widerstandskämpferin Maria Jankowski geb. Rudolf (1887-1946) benannt.

6) Gedenkstätte Köpenicker Blutwoche: Ehemaliges Amtsgerichtsgefängnis

Seit Mai 1980 wird in Räumen des ehemaligen Amtsgerichtsgefängnisses, dem Hauptsitz der Köpenicker SA, an die Opfer der Köpenicker Blutwoche erinnert. Innerhalb weniger Tage wurden im Betsaal mindestens 200 Gefangene festgehalten, teils schwer misshandelt und ermordet. Gegenüber dem Gefängnis in der heutigen Puchanstraße lag ein SA-Lokal, in dem auch Gefangene gepeinigt wurden, so wie die Sozialdemokratin Katharina Schmaus geb. Walch.

Zu den Verschleppten gehörte auch der Kommunist Georg Kilian, der mit seiner Frau Liddy Kilian geb. Dauerling (1895-1972) in der Siedlung Elsengrund in Köpenick lebte. Die Fürsorgerin Liddy war Frauenleiterin der KPD und wie ihr Mann Bezirksverordnete in Köpenick. Noch im März 1933 wurde sie in die SVV gewählt, konnte ihr Amt aber nicht mehr ausüben. Georg wurde im März 1933 und erneut im Juni festgenommen und im Amtsgerichtsgefängnis misshandelt. Daran erinnerte sich seine Tochter Isot Carstens-Kilian (1924-1986) später: „Vor dem Lokal standen einige SA-Leute. Einer rief meiner Mutter zu: ‘Ach, Frau Kilian, gut dass Sie selber kommen, dann brauchen wir sie ja nicht zu holen.!‘ Ich brüllte wieder los. Und dieses Gebrüll war wohl der einzige Grund, dass sie nicht auch meine Mutter in das Lokal schleppten. Wir haben lange gewartet, bis der Zug der Geschlagenen aus dem Lokal geführt wurde und sie zum alten Gefängnis Köpenick mit letzter Kraft gehen mussten. Die SA flankierte sie.“ Liddy Kilian konnte der Verhaftung entgehen und stellte trotz Polizeiaufsicht und Hausdurchsuchungen Informationen über die Ereignisse zusammen, damit sie auch über Köpenick hinaus bekannt wurden. 1934 zog die Familie nach Hamburg, war auch dort illegal tätig und wurde mehrfach verhaftet. Georg starb 1940 an den Folgen der Haft. Liddy kehrte 1945 mit Isot nach Köpenick zurück und leitete einen antifaschistischen Frauenausschuss.

Autorin: Trille Schünke-Bettinger