Kreuzberg

Kiezspaziergang im Rahmen von Widerstandsgeschichte lokal

1) Yorckstraße 4-11: Rathaus Friedrichshain-Kreuzberg

In Kreuzberg waren bis 1933 die beiden großen Arbeiterparteien SPD und KPD stark vertreten. Bei Wahlen zur BVV oder SV bekamen sie zusammen stets die Mehrheit aller Stimmen, selbst bei den vorgezogenen Wahlen im März 1933 nach der Machtübertragung. Seit 1922 tagte die Kreuzberger BVV im Flachbau hinter dem heutigen Rathaus Kreuzberg. Zu den nach der Machtübertragung verfolgten Bezirkspoltikerinnen gehörten u.a. Marie Heisig und Elise Prietzel.

2) Yorckstraße 74: Wohnung der Familie Meroy

Vor dem Haus sind seit 2018 neun Stolpersteine verlegt, sieben für die polnisch-jüdische Familie Merory. Die anderen beiden für Alfred und Hanna Löhnberg (1889-1944), die beide im Dezember 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert und später in Auschwitz ermordet wurden. Die aus Polen stammende Amalie Merory geb. Bogen (1867-1942) lebte hier ab Ende 1937 zusammen mit ihren sechs Kindern. Ihr Mann Isidor, den sie 1892 geheiratet hatte, war bereits 1926 gestorben. Merory musste mit ihrer Familie umziehen, weil ihre Arbeitserlaubnis, die sie als Ausländerin benötigte, aufgrund ihrer jüdischen Herkunft nicht verlängert wurde und sie sich so ihre bisherige große Wohnung in Steglitz nicht mehr leisten konnte. Merory wurde am 13. Januar 1942 im Alter von 74 Jahren zusammen mit ihren Töchtern Sophie (1897-1942) und Rosa (1903-1942) aus der Wohnung in der Yorckstraße 74 abgeholt und ins lettische Riga deportiert. Hier verliert sich auch die Spur der Merorys. Ihre Söhne Siegbert, Martin, Walter und Fritz wurden 1938 im Rahmen der „Polenaktion“ mit 17.000 anderen Einwander:innen aus Polen verhaftet und an die polnische Grenze abgeschoben. Nach Kriegsbeginn gelang ihnen die Flucht in die Sowjetunion, wo sich ihre Spur verlor. Die Zusammenarbeit von Reichsbahn und Behörden bei der Abschiebung lieferte das Vorbild für die späteren Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager. Nur zwei der elf Kinder Merorys überlebten die NS-Zeit, ihnen gelang Ende der 1930er Jahre die Flucht in die USA. Auch die Kinder ihres Sohnes Martin überlebten trotz Haft die NS-Zeit und gingen Ende der 1940er
Jahre in die USA.

3) Yorckstraße 22: Kein Gedenken an Clara Behrens

Seit 2011 erinnert eine Gedenktafel an den Arbeiter und kommunistischen Widerstandskämpfer Karl Behrens. Seit 1933 war er für die KPD in Kreuzberg und Moabit aktiv. Über seine Englischlehrerin am Berliner Abendgymnasium kam er in Kontakt mit der Roten Kapelle. Auch seine Ehefrau Clara Behrens betätigte sich in dem Kreis, nach Karls Einzug als Soldat an die Front auch allein. Clara und Karl lebten zusammen in der Katzbachstraße in der Nähe der Yorckstraße. Ihr Name auf der Tafel wird jedoch nicht erwähnt.

4) Ecke Möckern- und Hornstraße: Anhalter Bahnhof

Im Oktober 1941 begann die Deportation der Berliner Jüdinnen und Juden vom Bahnhof Grunewald, ab Januar 1942 vom Bahnhof in Moabit, im Juni vom Anhalter Bahnhof in Kreuzberg. Im Unterschied zu den Güterbahnhöfen Grunewald und Moabit wurde der Anhalter Bahnhof von der Bevölkerung genutzt. Neben dem normalen Reiseverkehr gab es von dort ab 1938 auch Kindertransporte nach Großbritannien. Von den 123 Zügen, die von Berlin ins KZ Theresienstadt fuhren, starteten 116 vom Anhalter Bahnhof. Den Personenzügen wurden Personenwaggons dritter Klasse mit Platz für 50 bis 100 Personen angehängt. Die Fahrt musste selbst bezahlt werden und es durften nur wenige Habseligkeiten mitgenommen werden. Insgesamt wurden etwa 10.000 Menschen vom Anhalter Bahnhof deportiert. Die wenigsten überlebten.

Vermutlich wurde auch die Jüdin Mathilde Jacob, engste Vertraute Rosa Luxemburgs und deren Nachlassverwalterin, 1942 von hier im Alter von 69 Jahren nach Theresienstadt deportiert. Nach der Machtübertragung hielt Jacob Kontakte zu Genoss:innen in Neukölln. Als Jüdin verfolgt, hielt sie sich mit gelegentlichen Schreibaufträgen über Wasser, die ihr von Freund:innen vermittelt wurden. 1939 versuchte sie zu emigrieren, doch erhielt kein Visum. Im gleichen Jahr übergab sie einen Teil des Nachlasses Luxemburgs an den US-Historiker Ralph H. Lutz. Einen anderen Teil vergrub ein befreundetes Ehepaar in Neukölln.

5) Hornstraße 18: Wohnung von Hildegard Uelze

Hier lebten ab 1943 Carl und Hildegard Uelze. Seit 1939 waren beide Teil der Roten Kapelle.

6) Hornstraße 23: Jüdischer Zwangsraum

Das Haus gehörte der Jüdin Margarete Mannheim geb. Lubarsch (1864-1942). 1888 hatte ihr Mann Max das Haus gekauft und sich mit seiner Arztpraxis hier niedergelassen. Er starb 1929. Ab 1939 wurden in mindestens vier Wohnungen des Hauses zwangsweise Juden einquartiert. Um der Deportation zu entgehen, nahm sich Mannheim 1942 in ihrer Wohnung das Leben, drei Monate später wurde das Haus „arisiert“. Davor erinnern vier Stolpersteine an jüdische Bewohnerinnen des Hauses, die hier zwangsweise leben mussten und in Konzentrationslagern ermordet wurden: Die Schwestern Charlotte (1882-1943) und Gertrud Arnhelm (1898-1943) sowie Jenny Stein geb. Arnhelm (1888-1943) und Agnes Löwenthal geb. Salinger (1866-1942). Ein fünfter Stein erinnert an Margarete Mannheim.

Seit 2023 gibt es dazu das Projekt Zwangsräume

7) Hornstraße 3: Treffpunkt der Roten Kapelle

Hier lebte Ursula Goetze in einer Vier-Zimmer-Wohnung im zweiten Stock.

Autorin: Trille Schünke-Bettinger