Nichts erinnert an diese frühe Folter- und Mordstätte der Nazis inmitten Berlins
Seit Mitte der 1920er Jahre gab es in der Kreuzberger Hedemannstraße mehrere NSDAP- und SA-Dienststellen. Nach der Machtübertragung an die Nazis vor genau 90 Jahren befand sich hier eines der zentralen frühen Konzentrationslager von Berlin – neben dem in der General-Pape-Straße. Bis heute erinnert im Berliner Stadtbild nichts an diesen frühen Ort faschistischen Terrors.
Mit den Häusern Nummer 31/32 sowie 5/6 standen den Nazis gleich zwei Orte zur Verfügung, die sie teils zeitgleich für ihren Terror nutzten. Das Gebäude mit der Nummer 31/32 diente von April 1932 bis Ende März 1933 als Sitz der SA-Gruppe Berlin-Brandenburg. Als diese ihren Sitz verlegte, wurde das Konzentrationslager nach wenigen Wochen aufgelöst. Im schräg gegenüberliegenden Gebäude mit der Hausnummer 5/6 befand sich ab Januar 1933 im 3. Stock die Geschäftsstelle der SA-Untergruppe Berlin-Ost. Von Anfang März bis Juni 1933 wurden diese Räumlichkeiten als frühes Konzentrationslager genutzt, ab 24. März als zentrales Konzentrationslager für den Ostteil Berlins. Ehemalige Häftlinge konnten ihren Haftort in der Hedemannstraße oftmals nicht genau verorten. In Zeitzeug*innenberichten werden die Begriffe SA-Kaserne, „Blutkeller“ und „Braunes Haus“ verwendet, meistens aber die Bezeichnung Hedemannstraße.
Die meisten Häftlinge waren im Haus 5/6 inhaftiert. Die Historikerin Irene Mayer-von Goetz darüber: Die ankommenden Häftlinge wurden meist die Treppen hochgescheucht, wo SA-Männer Spalier standen, um auf sie einzuschlagen. Im Korridor hingen erbeutete Fahnen und Transparente der Arbeiterbewegung. Die Wände des Haftraumes für die Häftlinge waren gezeichnet mit Blutspuren der hier stattfindenden Misshandlungen. Auch ein verriegelter Kellerverschlag und Betten, die in der Küche aufgestellt waren, dienten als Unterbringung für die Häftlinge. In einem weiteren Raum fanden die Verhöre und Folterungen statt. An dem dort befindlichen Garderobenständer hingen Schlag- und Folterwerkzeuge. Ein Badezimmer fungierte zugleich als Sanitätszimmer. Laut Zeug*innenaussagen inhaftierte die SA bis zu 150 Personen gleichzeitig in der Hedemannstraße.
Misshandelt und ermordet
Aus allen Berliner Bezirken wurden Verhaftete hierhergebracht, schwer gefoltert und misshandelt, teilweise auch ermordet, wie vermutlich der Kreuzberger Jungkommunist Paul Papst. Der Kreuzberger Richard Grubitz berichtete: „(…) bekannte Linke wurden aus ihren Wohnungen geholt und verschleppt. So 1934 der Junggenosse Paul Papst (…). Am nächsten Tag hörten wir dann, er sei an seinem Haftort, dem SA-Quartier Hedemannstraße, aus dem Fenster gesprungen. Seine Eltern veranlassten eine Beerdigung auf dem Armenfriedhof in Ahrensfelde. (…). Da die Eltern darauf bestanden hatten, dass der Sarg geöffnet und der Leichnam umgedreht wurde, konnten alle die Striemen auf dem Rücken des Toten sehen. Auch Siegbert Kindermann (geb. 1915) wurde Mitte März 1933 in die Hedemannstraße verschleppt und dort ermordet. Der jüdische Bäckerlehrling war Mitglied der Roten Hilfe und engagierte sich im Widerstand gegen die deutschen Faschisten. Nach der Verhaftung weigerte er sich, Namen von politischen Freund*innen zu verraten und wurde schwer misshandelt. Er starb am 18. März an den Folgen eines Fenstersturzes.
Zu den hierher Verschleppten gehörten auch die Brüder Franz und Fritz Huth. Franz Huth (geb. 1906) war Mitglied in der Roten Jungfront und der KPD. In der Nacht vom 21. auf den 22. März stürmten SA-Leute die Wohnung in der Rykestraße 3, in der die Brüder mit ihrer 65-jährigen Mutter wohnten, um Franz Huth zu verhaften. Da dieser nicht anwesend war, nahmen sie sich dessen kriegsverletzten Bruder Fritz vor, misshandelten ihn, weil er den Aufenthaltsort seines Bruders nicht preisgeben wollte, und brachten ihn in die Hedemannstraße. Sein jüngerer Bruder Franz wurde in der Wohnung der Schwester Johanna Frisch aufgespürt. Die SA brachte ihn ebenfalls in die Hedemannstraße, wo auch Franz schwer misshandelt und noch in der Nacht ermordet wurde. Fritz sah seinen Bruder noch einmal und wurde am 22. März freigelassen, starb aber selbst kurz darauf. Johanna Frisch erinnerte sich 1949: „Ich bin dann sofort zu meiner Mutter, die mit Herzkrämpfen auf der Erde lag und mir sagte, dass man auch meinen Bruder Fritz bei ihr abgeholt hätte. (…) Ich bin sofort zum Revier (…) und wurde für morgens 7 Uhr bestellt. Ich bin dann nochmals zu meiner Mutter, und da war mein Bruder Fritz schon zurückgekommen. Fritz war weiß wie die Wand, zitterte und spuckte Blut. (…) Fritz sagte uns, dass mein Bruder Franz tot sei. Er selbst war Augenzeuge, wie Franz totgeschlagen wurde. Er beschrieb das so: Franz sei nach der Hedemannstraße, drei Treppen hoch, gebracht worden und dass der Krüppel Bergmann dabei gewesen ist. (…) Fritz erzählte, dass Franz sich nackend ausziehen musste und mörderisch geschlagen wurde. Franz hat viermal einen Blutsturz bekommen und zuletzt auf einem Strohhaufen gelegen, wo noch viele andere verblutet sind. Mein Bruder Franz hatte noch um einen Schluck Wasser gebeten, aber die SA hat nur gesagt: ‚Du Sau, verrecke‘ …“ 1934 strengte die Familie Huth ein Verfahren gegen die Schuldigen der SA-Führung an, aber das Verfahren gegen Sturmbannführer Julius Bergmann und andere wurde auf Drängen höherer Justizstellen abgewiesen. Erst nach dem Ende der faschistischen Diktatur wurde Julius Bergmann wegen seiner Verbrechen zur Verantwortung gezogen und am 25. Februar 1951 zum Tode verurteilt.
Inhaftierte Frauen
Auch Frauen waren in der Hedemannstraße inhaftiert und in den gleichen Räumen wie die männlichen Häftlinge untergebracht. Sie wurden ebenfalls schwer gefoltert und misshandelt, sexuelle Gewalt ist wahrscheinlich. Zu den inhaftierten Frauen gehörte die Arbeitersportlerin und Kommunistin Gertrud Glondajewski (1908-2004). Von Beruf Buchhalterin, war sie ab 1930 Mitglied der KPD-Bezirksleitung Berlin-Brandenburg. Sie wurde im März 1933 von der SA verhaftet und in die Hedemannstraße gebracht. Nach ihrer Entlassung lebte sie zunächst illegal, um einer weiteren Verhaftung zu entgehen. Auch die Arbeiterin Ilse Liebmann (1904-1988) war hier inhaftiert. Sie war Kassiererin der KPD in Pankow und wurde in der Nacht des Reichstagsbrandes (27./28. Februar 1933) von der SA verhaftet. Nach einem kurzen Aufenthalt im SA-Lokal „Maye“ in Pankow wurde sie in die Hedemannstraße gebracht und dort schwer misshandelt.
Keine Erinnerung
Im Zweiten Weltkrieg wurden die Gebäude in der Hedemannstraße fast vollständig zerstört. In der Nachkriegszeit erfolgte eine Neubebauung mit überwiegend Wohnhäusern, sodass heute kaum historische Spuren im Stadtbild sichtbar sind. Bis heute erinnert nichts an diesen frühen Terrorort.
Trille Schünke-Bettinger: Nichts erinnert an diese frühe Folter- und Mordstätte der Nazis inmitten Berlins: Das SA-Quartier in der Hedemannstraße. In: Länderbeilage Berlin. Antifa Sept./Okt. 2023