Auf Spurensuche: Frauen im Nationalsozialismus zwischen Verfolgung und Widerstand Widerstandsgeschichte lokal

Veranstaltung am 23. August 2023 im Cafe Sibylle mit den Gästen Bärbel Schindler-Saefkow und Claudia von Gélieu, Moderation: Anika Taschke (Rosa-Luxemburg-Stiftung)

Sie sammelten Informationen, übernahmen Kurierfahrten und hielten Kontakte, sie stellten Flugblätter her, unterstützten Verfolgte, suchten Orte für geheime Treffen, sabotierten die Kriegsproduktion, planten Umsturzversuche und Attentate auf die Führungsriege der Nationalsozialisten mit – der Widerstand von Frauen war so vielfältig wie ihre Motive, sich dem Nazi-Staat zu widersetzen.

Gemessen an der Bevölkerung waren es zwar nicht viele Deutsche, die sich der politischen und gesellschaftlichen Gleichschaltung widersetzten und Verfolgten halfen, dennoch gab es bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs einen ungebrochenen Widerstand, besonders in Berlin. Darunter waren ein Drittel Frauen unterschiedlicher Sozialisation und Weltanschauung. Sie sind allerdings immer noch oder wieder vielen unbekannt und auch weniger im öffentlichen Raum präsent als die männlichen Widerstandskämpfer. »Antifaschistinnen aus Anstand« hat sich zum Ziel gesetzt, das zu ändern. Wir recherchieren Biografien sowie die Motive und Wege in den Widerstand eher unbekannter Widerstandskämpferinnen, die von 1933 bis 1945 allein oder in größeren Gruppen gewirkt haben und erinnern in den sozialen Medien und auf der Website frauen-im-widerstand.de an sie. Der Name ist inspiriert durch die Berliner Schauspielerin, Sängerin und erklärte Nazigegnerin Marlene Dietrich, die auf die Frage, warum sie Antifaschistin geworden sei, »aus Anstand« geantwortet haben soll.

Anlässlich des 90. Jahrestages der Machtübertragung an die Nazis wollten wir das Thema stärker aus dem Internet in die Stadt bringen. Daher haben wir zusätzlich »Widerstandsgeschichte lokal« gestartet: Wir erarbeiten für jeden Berliner Bezirk Stadtführungen an Orte, an denen widerständige Frauen gewohnt oder gewirkt haben, um die Formen des Widerstands in Berlin zu zeigen. Das Projekt startete Ende Februar mit einem Kiezspaziergang in Kreuzberg, bei dem wir beispielsweise am Haus in der Hornstraße 3, in dem Ursula Goetze wohnte, die Tätigkeiten der »Roten Kapelle« vorstellten. Hier kam das Widerstandsnetzwerk zusammen, um »Feindsender« zu hören und Flugblätter für französische Zwangsarbeiter  zu übersetzen. Goetze sammelte Geld für politisch Verfolgte, Juden und Jüdinnen und Zwangsarbeiter. In acht Bezirken fanden bereits Führungen statt, vier weitere folgen noch.

Am 23. August haben wir unsere Erfahrung und Ergebnisse im Café Sibylle vorgestellt und diskutiert. In einem kurzen Vortrag stellte Elke Tischer das Projekt, unsere Motivation und als Beispiel die Unterschiede zwischen einer Stadtführung durch einen belebten Innenstadt- und ehemaligen Arbeiterkiez wie Prenzlauer Berg und einem Randbezirk wie Köpenick, in dem Widerstand in den Kleingärten eine große Rolle spielte, vor. In einem Werkstattgespräch, moderiert von Anika Taschke, Referentin für Zeitgeschichte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, haben wir anschließend mit der Politikwissenschaftlerin Claudia von Gélieu, der Historikerin und Tochter der Widerstandskämpfer*innen Aenne und Anton Saefkow, Dr. Bärbel Schindler-Saefkow, sowie der Zeithistorikerin und Mitinitiatorin des Projekts Trille Schünke-Bettinger darüber gesprochen, wie Frauen eine größere öffentliche Aufmerksamkeit bekommen können und ihr Widerstand nicht in Vergessenheit gerät. Bärbel Schindler-Saefkow berichtete von der großen Rolle von Frauen in der Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation und dem öffentlichen Umgang damit nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Frauen, die überlebt hatten, haben sich für die Gründung der Gedenkstätte im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück eingesetzt. Claudia von Gélieu äußerte den Wunsch, dass sich mehr an Schulen damit befasst wird, um auch jüngere Personen für die Geschichte zu interessieren. Die Umsetzung dieser Idee haben wir uns schon für das nächste Jahr vorgenommen. Außerdem planen wir, einen inhaltlichen Schwerpunkt auf jüdische Widerstandskämpferinnen zu legen. Ende des Jahres wird es eine Abschlussveranstaltung des Projektes »Widerstandsgeschichte lokal« geben, das in Zusammenarbeit mit der Berliner VVN-BdA und dem Netzwerk Frauentouren entstand und von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa gefördert wird. Mit deren Planung haben wir bereits begonnen und wir laden schon herzlich ein.

Margit Hildebrandt, Trille Schünke-Bettinger, Dr. Elke Tischer: Auf Spurensuche: Frauen im Nationalsozialismus zwischen Verfolgung und Widerstand. Widerstandsgeschichte lokal. In: Länderbeilage Berlin. Antifa Sept./Okt. 2023

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