Abschlussveranstaltung von Widerstandsgeschichte lokal – Auf Spurensuche von Berliner Frauen im Nationalsozialismus zwischen Verfolgung und Widerstand

Am 3. Dezember fand die Abschlussveranstaltung unseres Projekts Widerstandsgeschichte lokal als Matinee im Salon im FMP1 statt. Im Rahmen von Kiezspaziergängen in allen Berliner Bezirken haben wir Orte besucht, an denen verfolgte und widerständige Frauen gewohnt oder gegen die Nationalsozialisten gewirkt haben. Anlässlich des 90. Jahrestags der Machtübertragung an die Nationalsozialisten wollten wir das Thema stärker aus dem Internet in die Stadt bringen. Gemessen an der deutschen Bevölkerung waren es zwar nicht viele, dennoch gab es in der NS-Zeit einen ungebrochenen Widerstand, insbesondere in Berlin. Darunter waren zahlreiche Frauen unterschiedlicher Sozialisation und Weltanschauung, die an Widerstandsaktionen teilgenommen haben und ohne deren Wirken viele Aktionen überhaupt nicht möglich gewesen wären. Dennoch sind sie bis heute weniger bekannt und im Stadtraum präsent als männlich gelesene Widerständige. Am 26. Februar 2023 ging es in Kreuzberg los und endete am 12. November in Steglitz. Das Interesse an den Stadtführungen war sehr groß und das Feedback durchweg positiv. In der Abschlussveranstaltung stellten wir unsere Erfahrungen vor und auch, was den Widerstand von Frauen in Berlin auszeichnete.

Die Zeitzeugin Erika Rathman berichtete über den Widerstand ihrer Mutter und Tante, für die ihr Engagement gegen die Nazis selbstverständlich war: Anna Rathmann, geb. Rosenmeyer (1902-1992) und ihre zwei Jahre jüngere Schwester Gertrud Rosenmeyer (1904-1982) wuchsen in Neukölln in Armut auf. Ihr Vater starb 1909 an Tuberkulose, ihre Mutter 1919 und ihre jüngere Schwester Lieschen 1925. Anna und ihre Schwester Gertrud waren im Alter von 17 bzw. 14 Jahre auf sich allein gestellt. Unterstützung erhielten sie von den Eltern einer Schulfreundin, die eine KPD-Kneipe betrieben, in der unter anderem Olga Benario ein- und ausging. Dort mieteten die beiden Schwestern ein Zimmer. Anna arbeitete als Metallarbeiterin im Kabelwerk Oberspree, Gertrud Rosenmeyer zunächst als Dienstmädchen, später als Montiererin in verschiedenen Firmen. Beide Schwestern traten bereits in den 20er Jahren der KPD und den Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) bei. Anna wurde 1926 in den Betriebsrat und als Bezirksverordnete in Neukölln gewählt und engagierte sich in der Roten Hilfe. Beide Schwestern wirkten umgehend als führende Funktionärinnen, stellenweise waren die Schwestern abwechseln Frauenleiterinnen der KPD.

Nach der Machtübertragung engagierten sich beide Schwestern im Widerstand. Sie organisierten den Aufbau der illegalen Strukturen der KPD in Neukölln. Gertrud Rosenmeyer wirkte dabei als Verbindungsfrau, unterstützte Verfolgte, gab geheime Informationen weiter. Bereist 1933 erstmals verhaftet, musste sie ihre illegalen Tätigkeiten wegen ihrer TBC-Erkrankung bis 1935 ruhen lassen. Dann arbeitete sie als Montiererin in einer Fabrik in Tempelhof und setzte ihre illegale Arbeit dort fort. Am 10. Mai 1935 erstmals festgenommen, wurde Anna Rathmann im sogenannten Richardstraßenprozess angeklagt und im November desselben Jahres aufgrund mangelnder Beweise freigesprochen. Nach der Geburt ihrer Tochter Erika im August 1936 setzte sie ihre widerständige Tätigkeit fort. Über Ursula Goetze, mit der beide Schwestern bereits seit Ende der 1920er befreundet waren, hatte sie Kontakte zur Roten Kapelle und waren auch in die Klebezettelaktion im Mai 1942 eingeweiht. Im Februar 1942 wurden beide Schwestern im Zusammenhang mit der Zerschlagung der Uhrig-Römer-Gruppe für mehrere Wochen inhaftiert. Trotz mehrfacher Verhöre und Verhaftungen gelang es der Gestapo nie, Anna Rathmann und Gertrud Rosenmeyer die illegalen Tätigkeiten nachzuweisen. Es gelang ihnen immer, für alle Treffen private Gründe anzugeben. Durch ihr konspiratives Handeln schützten sie viele Freund*innen vor Verhaftungen. Anna Rathmann lebte die letzten beiden Kriegsjahre mit ihrer Tochter Erika in Wendisch-Rietz in Brandenburg. Gertrud Rosenmeyer blieb in Berlin bis Kriegsende weiterhin illegal tätig und unterstützte politisch und rassistisch Verfolgte wie Gerhard Danelius, später Vorsitzender der SED in West-Berlin. Nach Kriegsende lebten die Schwestern zunächst in Neukölln. Gertrud  Rosenmeyer wurde Vorsitzende der KPD in Neukölln und setzte sich dafür ein, dass die Neuköllner Bergstraße ihren heutigen Namen erhielt: Karl-Marx-Straße. Wegen wirtschaftlicher und materieller Not – als Kommunistinnen erhielten sie in West-Berlin kaum Unterstützung, zogen sie später nach Lichtenberg, wo beide in der Kreisleitung der SED aktiv waren.  Zeitzeug*innen beschrieben Gertrud Rosenmeyer wegen ihrer umsichtigen Vorgehens in der Zeit des Nationalsozialismus als „konspirativste Genossin“. An beide Schwestern gibt es heute keine Erinnerung im Stadtraum.

Anschließend diskutierten die Frauenforscherinnen und Publizistinnen Florence Hervé und Gisela Notz über ihre Arbeit. Sie gehören zu den Wenigen, die seit Jahrzehnten auf die Rolle von Frauen im Widerstand gegen den NS hingewiesen haben. Moderiert wurde das Gespräch von Anika Taschke, Referentin für Zeitgeschichte der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Das sehr informative Gespräch zeigte den langen Weg und die positiven wie negativen Erfahrungen, die engagierte Menschen bisher machen mussten, um den vielen widerständigen Frauen in der NS-Zeit ein Gesicht und eine Stimme zu geben. Beide betonten die Wichtigkeit, dies auch weiterhin zu tun, um von diesen Frauen zu lernen, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen antifaschistischen Kämpfe. Die Anfänge, so Gisela Notz, seien schon überschritten – 2024 finden in drei Bundesländern Wahlen statt, bei denen große Wahlerfolge der AFD drohen, mit Brandenburg auch direkt vor den Türen Berlins.

Artikel aus der Antifa Januar/Februar 2024. Von Elke Tischer und Trille Schünke

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