Lichtenberg

Ein Kiezspaziergang im Rahmen von Widerstandsgeschichte Lokal

1) Haupteingang Zentralfriedhof Friedrichsfelde

Der Friedhof in Friedrichsfelde ist bekannt für das von den Nazis 1935 zerstörte Revolutionsdenkmal, an dessen Stelle sich seit 1982 ein Gedenkort befindet, aber auch für die zahlreichen Gräber von Personen aus Politik, Wissenschaft, Gesellschaft – und Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus. Neben den Grabanlagen innerhalb der Ringmauer und am Pergolenweg befindet sich auf dem Friedhof die Grabanlage für Verfolgte des Naziregimes, in der auch widerständige und verfolgte Berlinerinnen begraben sind. Für viele von ihnen ist es der einzige Erinnerungsort.

Am Ende des 19. Jahrhunderts stießen die Berliner Friedhöfe an ihre Kapazitätsgrenzen, daher wurde im Mai 1881 der „Städtische Gemeindefriedhof für Berlin“ eröffnet, damals noch vor den Toren der Stadt in Friedrichsfelde, dass erst 1920 durch die Gründung Groß-Berlins eingemeindet wurde. Im Gegensatz zu den innerstädtischen Friedhöfen stand der Friedrichsfelder Friedhof für Begräbnisse von Menschen aller „Bekenntnisse und sozialen Schichten“ offen und war damit der größte nicht-religiöse Friedhof Berlins. Als Begräbnisstätte zahlreicher Sozialdemokrat:innen erhielt er bereits vor dem Ersten Weltkrieg den Beinamen „Sozialistenfriedhof“. Nach der Beisetzung von Wilhelm Liebknecht, radikaldemokratischer Revolutionär und einer der Gründerväter der SPD im Jahr 1900, wurden immer mehr Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung hier bestattet, wie die Sozialdemokratin und Gewerkschafterin Emma Ihrer (1857-1911). Ihrer setzte sich dafür ein, dass Frauen in den Gewerkschaften als gleichberechtigt anerkannt wurden. Als Herausgeberin der Zeitungen „Die Arbeiterin“ und „Die Gleichheit“ und Gründerin feministischer Vereine kämpfte sie stets für die Rechte der Frauen.

2) Revolutionsdenkmal

Nach der Beisetzung von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und anderen Opfern der Novemberrevolution 1918/19 entstand im hinteren Teil des Friedhofs das Revolutionsdenkmal als eine Gedenkstätte der KPD. Es wurde vom deutsch-amerikanischen Architekten des Modernismus, Mies van der Rohe, geschaffen und 1926 eingeweiht. Bis 1933 fanden hier große Gedenkveranstaltungen statt. Nach der Machtübertragung wurden Blumen an den Gräbern abgelegt, auch Sozialdemokrat:innen versammelten sich zum stillen Protest gegen die Nationalsozialisten, weswegen der Friedhof häufig unter Aufsicht der Gestapo stand.

Am 25. November 1934 wurden die Kommunistinnen Frieda Pauligk geb. Kiesel (1904-1974), Martha Klempin und Lotte Weinke am Grab von Luxemburg und Liebknecht festgenommen und zu einigen Monaten Haft verurteilt.

Das Revolutionsdenkmal wurde 1935 von den Nationalsozialisten abgerissen, die Gräber von Liebknecht und Luxemburg eingeebnet. Einem Friedhofswärter gelang es, einige Grabsteine zu retten.

3) Gedenkstätte der Sozialisten

Im vorderen Teil des Friedhofs wurde 1951 die neue Grabanlage als „Gedenkstätte der Sozialisten“ eingeweiht. Sie entstand auf Basis mehrerer Beschlüsse des Ost-Berliner Magistrat an der Stelle der Gräber von ehemaligen bekannten Sozialdemokrat:innen wie Hugo Haase oder Paul Singer. Auf der linken Seite der Ringmauer sind ihre Grabmäler integriert, daneben befinden sich Urnenstätten führender SED-Politiker:innen. Zusammen mit der dahinter anschließenden Gräberanlage Pergolenweg diente sie bis zum Ende der DDR als Ehrenfriedhof für führende Vertreter:innen der Arbeiterbewegung – welche Personen hier bestattet wurden, entschied das Politbüro der SED.

4) Grabanlage Pergolenweg

Neben SED-Politiker:innen und deren Angehörige wurden in der Gräberanlage Pergolenweg auch zahlreiche Personen aus Kultur und Wissenschaft sowie Widerstandskämpfer:innen bestattet.
Mittlerweile liegen hier mehr als 500 Personen begraben, darunter Sophie Liebknecht (1884-1964), die zweite Ehefrau von Karl Liebknecht und eine enge Freundin Rosa Luxemburgs, mit ihren Kindern. Wegen drohender Verhaftung als bekannte Kommunistin floh sie 1934 über Großbritannien in die Sowjetunion und starb 1964 in Moskau. Ihre Urne wurde nach Berlin überführt. Nach dem Mauerfall wurde ihre Urne in das Grab ihres Mannes in Zehlendorf umbestattet. Auch Zenzl Mühsam (1884-1962) war hier bestattet. Sie hatte, wie ihr Mann Erich Mühsam, der anarchistische Schriftsteller und Revolutionär, 1919 in der Münchener Räterepublik gekämpft. Nach der Ermordung Erichs 1934 floh Zenzl trotz Warnung von Sophie Liebknecht, dass Anarchist:innen wie sie dort nicht wohlgelitten waren, über Prag in die Sowjetunion. In Moskau wurde sie mehrfach verhaftet und schließlich für acht Jahre in einem Arbeitslager interniert. 1949 wurde sie erneut verhaftet und ins sibirische Nowosibirsk verbannt. 1954 kam Mühsam frei und durfte in die DDR ausreisen, aber nicht über ihre Erlebnisse sprechen. Im Jahr 1992 wurde ihre Urne in das Grab von Erich Mühsam auf dem Waldfriedhof Dahlem in Zehlendorf umgebettet.

Im jüngeren Bereich der Gräberanlage Pergolenweg hinter der Ringmauer wurde im Jahr 2000 Irma Gabel-Thälmann (1919-2000) neben ihrem Mann Johannes bestattet. Die Tochter des KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann und seiner Frau Rosa Thälmann geb. Koch (1890-1962) wurde 1919 in Hamburg geboren. Ernst Thälmann setzte als Vorsitzender ab 1925 den stalinistischen Kurs innerhalb der Partei durch und bekämpfte die Sozialdemokratie nach der Sozialfaschismustheorie als politischen Hauptfeind der KPD innerhalb der Weimarer Republik. Mit 13 Jahren trat Irma Thälmann in den Kommunistischen Jugendverband ein. Als Tochter eines bekannten Kommunisten – Ernst wurde am 3. März 1933 verhaftet – musste Irma 1936 die Berufsschule abbrechen und erhielt anschließend keine Arbeit. Von 1933 bis zu seiner Ermordung 1944 hielt sie Verbindungen zu ihrem inhaftierten Vater und schmuggelte Informationen zwischen ihm und der Partei-Führung. Sie wurde im April 1944 im baden-württembergischen Singen festgenommen und unter falschem Namen nach Hamburg-Fuhlsbüttel in Einzelhaft verlegt. Über Haftstationen in Berlin wurde sie wie ihre Mutter bis zur Befreiung durch die Alliierten Ende April 1945 im KZ Ravensbrück inhaftiert. Irma beteiligte sich nach Ende des Kriegs am Aufbau der Antifaschistischen Frauenausschüsse und war in der wiedergegründeten KPD sowie der SED. Ab 1945 verbrachte sie mehrere Monate mit ihrer Mutter in sowjetischen Sanatorien. Mit ihr war sie auch am Aufbau der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück beteiligt, mit der sie ihr Leben lang verbunden blieb.

Ebenfalls hier bestattet ist Hanna Podymachina, geb. Bernstein.

5) Gräberanlage für Verfolgte des Nazi-Regimes (VdN)

Im Januar 1978 wurde die Gräberanlage auf Magistratsbeschluss auf einem seitlich liegenden Areal des Friedhofs als Ehrenhain für Verfolgte des Nazi-Regimes (VdN) eingeweiht. Auch in Pankow, Baumschulenweg und auf zwei weiteren Ost-Berliner Friedhöfen entstanden kleinere VdN-Ehrenhaine für Überlebende der NS-Verfolgung und des Widerstands. Für viele Berliner Widerstandskämpferinnen aus der Arbeiterbewegung sind die Gräberanlagen die einzigen Gedenkorte. Mittlerweile befinden sich hier etwa 900 Grabstellen für jeweils zwei Urnen, die von der Berliner VVN-BdA ehrenamtlich gepflegt und jeden Frühjahr und Herbst gesäubert werden.

Hier bestattet wurden u.a. Margarete Beinlich geb. Lange, Clara Behrens geb. Sonnenschmidt, Luise Kraushaar geb. Szepansky, Clara Lehnig, Gertrud Rosenmeyer

Autorin: Trille Schünke-Bettinger