Prenzlauer Berg

Kiezspaziergang im Rahmen von Widerstandsgeschichte lokal

1) Ecke Kolmarer und Knaackstraße: Frühes Konzentrationslager

Das mittlerweile abgerissene Maschinenhaus des Wasserturms nutzte die SA von März bis Juni 1933 als Haftort für politische Gegner:innen, folterte und ermordete hier Menschen mit jüdischem, sozialistischem und kommunistischem Hintergrund. In der nahen Rykestraße 3 wohnte Franz Huth, ein Funktionär der Roten Jungfront, der Jugendorganisation des paramilitärischen
Roten Frontkämpferbunds der KPD, in der Rykestraße 21 seine Schwester Johanna Frisch. Sie erzählte 1949 über die Folter ihrer Brüder in einem ähnlichen SA-Quartier in der Kreuzberger Hedemannstaße: „Fritz war weiß wie die Wand, zitterte und spuckte Blut. Er ist an den Folgen gestorben. Er war Augenzeuge, wie unser Bruder Franz totgeschlagen wurde.“ Fritz berichtete ihr, dass Franz sich ausziehen musste, geschlagen wurde und zuletzt auf einem Strohhaufen mit vielen anderen verblutet ist. „Franz hatte noch um einen Schluck Wasser gebeten, aber die SA hat nur gesagt: Du Sau, verrecke.“ 1934 wurde das Maschinenhaus zu einem SA-Heim und später gesprengt.

2) Rykestraße 53: Synagoge und Religionsschule

Vor allem im südlichen Teil Prenzlauer Bergs wie dem Bötzowviertel oder am Senefelderplatz lebten viele Jüdinnen und Juden. Zeichen dafür waren die Synagoge in der Rykestraße mit der privaten Schule der Jüdischen Gemeinde im Vorderhaus, das Baruch-Auerbachsche Waisenhaus, das Jüdische Altersheim und der jüdische Friedhof in der Schönhauser Allee. Die Synagoge wurde 1904im Hinterhof erbaut und fasste 2.000 Plätze. Wie andere Synagogen mitten im Wohngebiet wurde sie in den Novemberpogromen 1938 verwüstet, aber nicht niedergebrannt, um ein Übergreifen auf angrenzende Wohnhäuser zu vermeiden. Viele Gemeindemitglieder kamen ins KZ Sachsenhausen. Die Synagoge wurde beschlagnahmt und von der Wehrmacht als Armeelager und Pferdestall benutzt. Nachdem die Alliierten Deutschland besiegt hatten, wurden viele Juden und Jüdinnen, die die Shoah überlebt hatten, in der Synagoge untergebracht. 1953 wurde sie umfassend restauriert, finanziert auch aus West-Berlin und angestoßen von Heinz Galinski, dem Vorsitzenden der kleinen verbliebenen Jüdischen Gemeinde Berlins. Galinski lebte 1938 in der Schönhauser Allee31 und musste seit 1940 Zwangsarbeit leisten, nach seiner Deportation 1943 auch im KZ Auschwitz. 1945 kam er ins KZ Bergen-Belsen, wo er im April von britischen Truppen befreit wurde. Er war Mitbegründer der VVN und erster Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland. In der Schönhauser Allee hängt eine Gedenktafel für ihn, die immer wieder antisemitisch beschmiert wurde.

3) Rykestraße 18: Frauen der Uhrig-Römer-Gruppe

Die Uhrig-Römer-Gruppe war schon ab 1933 weit verzweigt in Prenzlauer Berg. In der Rykestraße hat sie sich in der Wohnung der Schneiderin Hertha Seher geb. Lindner (1906-1990) und ihrem Mann Paul getroffen. Seher hat Flugblätter für die Gruppe hergestellt und verteilt. Sie erzählte später, dass sie keinen Widerstand geleistet habe – oft bewerteten Frauen ihre eigenen Leistungen gar nicht als Widerstand.

4) Sredzkistraße: Widerstand am Kriegsende

Gerda Sredzki, Margarete Sredzki, Gerda Kafka, Lore Diehr

5) Husemannstraße: Rote Kapelle

Seit 1952 ist die Straße nach dem Berliner Widerstandskämpfer Walter Husemann (1909-1943) benannt. Bis zu seiner Ermordung in Plötzensee war er mit Marta Jendretzky, geb. Wolter, verwitwete Husemann verheiratet.

6) Kollwitzplatz: „Dringender Appell“

Die Künstlerin und Pazifistin Käthe Kollwitz geb. Schmidt (1867-1945), die 50 Jahre lang hier gelebt hat, hatte versucht, die Machtübertragung an die Nazis zu verhindern. Vor den Wahlen im Juli 1932 unterzeichnete sie mit dem Schriftsteller Heinrich Mann und dem Physiker Albert Einstein einen „Dringenden Appell“ des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds (ISK). Darin riefen sie zur Einstellung des „Bruderkampfes“ und zur Zusammenarbeit der KPD, des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds und der SPD auf, um eine nationalsozialistische Mehrheit zu verhindern. Mit den Namen von 33 Unterzeichnern der Intellektuellen- und Künstlerszene, darunter auch Erich Kästner und Arnold Zweig, wurde der Aufruf vom ISK in der Zeitung und auf Litfaßsäulen veröffentlicht. Das Bemühen um Herstellung einer Aktionseinheit scheiterte, politisch blieb der Appell folgenlos.

7) Kollwitzstraße 48: Gemeinschaft für Frieden und Aufbau

Seit 2011 erinnert vor dem Haus ein Stolperstein an die jüdische Widerstandskämpferin Fancia Grün, geb. Glück (1904-1945).

8) Ecke Belforter und Kollwitzstraße: Die Sozialistinnen Charlotte und Lilli Adel

Seit 1933 lebten Charlotte (1893-1938) und Lilli Adel (1916-2006) hier in einer Gemeinschaftswohnung. Mehrfach fanden hier geheime Treffen des Sozialistischen Jugendverbandes (SJV) und der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) statt. Bereits frühzeitig verhaftet, wurde die Tochter Lilli bei den Verhören brutal vergewaltigt. Sie konnte später keine Kinder mehr bekommen. Wegen der weiteren Verhaftungswellen nahm sich Charlotte Adel 1938 das Leben. Seit 2018 erinnert vor ihrem letzten Wohnhaus in Britz ein Stolperstein an Charlotte Adel. Ihre Tochter Lilli überlebte die NS-Zeit und gründete kurz nach Kriegsende einen Kindergarten in Neukölln.

9) Belforter Straße 12: Jüdischer Widerstand der Baum-Kochmann-Gruppe

Hier lebte das jüdische Ehepaar Heinz und Marianne Joachim. Seit 1941 verheiratet, engagierten sie sich in der jüdisch-kommunistischen Widerstandsgruppe Baum-Kochmann.

Autorin: Margit Hildebrandt