Zwischen Verfolgung und Widerstand – Kreuzbergerinnen in der NS-Zeit

Kiezspaziergang mit Trille Schünke

Der Rundgang am 29. Juli 2022 begann um 18 Uhr vor dem Eingang der Lina-Morgenstern-Schule in der Gneisenaustraße. In einem der Schulgebäude war bis 1922 der Sitz der Bezirksverordnetenversammlung von Kreuzberg. Weiter ging es in die Nostitzstraße, einer Arbeiterhochburg. Im Haus Nummer 16 befand sich, vermutlich links neben dem Eingang, in den 1920er Jahren das KPD-Lokal „Tante Martha“, ein Treff- und Austauschpunkt für die Anwohnenden. Nach dem 30. Januar 1933 wurde das Lokal von den Nazis geschlossen.

„Wir waren sechs Kinder und bewohnten mit unseren Eltern eine Zwei-Zimmer-Wohnung in der Nostizstraße. Eigentlich war das eine Zimmer gar keins. (…) . Der Wirt hatte ein Berliner Zimmer in Küche und Korridor aufgeteilt. Unser Klo stand mitten in der Küche.“ … „(…) In unserer Straße habe ich das ganze sozialdemokratisch-kommunistische Arbeiter-Milieu kennengelernt. Weiß noch genau, wie das bei Straßenkämpfen ablief. Die SIPO (Sippenpolizei) kommt! Hieß es, dann kamen sie in riesigen Mannschaftswagen, die Tschakos auf, schrien: Straße frei! Wer nicht verduftete, wurde festgenommen.“

Schilderung von Hildegard Sauer über die Nostitzstraße

In der Wilibald-Alexis-Straße 15 lebte von 1940 bis 1942 Fritz Siedentopf (1908-1944), kommunistischer Widerstandskämpfer der Uhrig-Römer-Gruppe. Vor dem Haus ist ein Stolperstein für ihn verlegt. Wenig bekannt ist, dass seine Frau Hedwig Siedentop auch im Widerstand aktiv war. Bereits ab 1934 unterstützte Hedwig ihn und Emma Beyer bei der Verbreitung illegalen Materials.

In der Fidicinstraße siedelte sich 1838 die Bockbierbrauerei mit Biergarten an. Im zweiten Weltkrieg wurden die Gebäude und Keller von der Wehrmacht genutzt, 1944 für kriegswichtige Produktion. Hier wurden von drei ansässigen Firmen Zwangsarbeitende aus den besetzten Ostgebieten eingesetzt. In ganz Kreuzberg waren über 400 kleine und größere Zwangsarbeitsorte, über 350 Betriebe setzten Zwangsarbeitende ein. (Zur Lagerdatenbank NS-Zwangsarbeit)

Dieses Jahr veranstaltet das NS-Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Kooperation mit den zwölf Berliner Bezirksmuseen eine monatliche Veranstaltungsreihe zu Zwangsarbeit in den Bezirken. Alle bisherigen Veranstaltungen sind auf dem Youtube-Channel des Dokumentationszentrums zu finden.

In der Kreuzbergstraße 72 lebte Pauline Frommholz. Als „gemeingefährlich geisteskrank“ wurde die Kreuzbergerin im Oktober 1943 in eine Nervenklinik eingeliefert und starb weniger als zwei Monate danach.

Die Jüdin Elise Levy lebte in der Hagelberger Straße Ecke Großbeerenstraße. Das Haus steht heute nicht mehr. 1942 wurde Elise von vom Anhalter Bahnhof in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Sie überlebte nur drei Wochen. Im Unterschied zu den zwei weiteren Berliner Deportationsbahnhöfen in Moabit und Grunewald, die eigentlich für Güter gedacht waren, wurde der Anhalter Bahnhof für den Personentransport genutzt und steht mitten im Zentrum der Stadt. Die Deportationen fanden ab 1942 während des normalen Reiseverkehrs statt. Die jüdischen Deportierten mussten in extra Waggons reisen und den vollen Fahrpreis, 50. Reichsmark, entrichten. 

Der Rundgang endete vor dem Haus der Hornstraße 18. Dort lebte ab 1942 die kommunistische Gewerkschafterin und Widerstandskämpferin Hildegard Uelze.

Herzlichen Dank an alle Teilnehmenden. Der Rundgang wurde von „Wir holen uns den Kiez zurück“ aufgenommen und erscheint am 24. August 2022 im Freien Radio und jetzt schon auf Mixcloud.

Fotos: Karte, Ankündigung, Stolperstein Fritz Siedentopf,  Hedwig Siedentopf, Auszug aus der Lagerkarte NS-Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Stolperstein Pauline Frommholz, Stolperstein Elise Levy, Denkmal wir haben Gesichter

Quelle Zitat Hildegard Sauer: Kunstamt Kreuzberg: Kreuzberg 1933: Ein Bezirk erinnert sich.

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